IT-Dienstleister läuten »Modern Times« ein

30. Juni 2005, 0:00 Uhr | Martin Fryba

IT-Dienstleister läuten »Modern Times« ein. Was Zulieferer in der Automobilindustrie bereits geschafft haben, steht IT-Dienstleistern noch bevor: Immer tiefer in die Wertschöpfungskette ihrer Kunden einzusteigen. Neben IT-Beratung und Modernisierung der ITK-Systeme sind vor allem innovative Betreibermodelle gefragt. Während der IT-Betrieb für Kunden effizienter und billiger werden soll, hofft mancher Modernisierungspartner auf den Einstieg in neue, lukrative Märkte.

IT-Dienstleister läuten »Modern Times« ein

Maßlos könnte man die Ansprüche nennen, die an große IT-Dienstleister gestellt werden. Kunden wollen ihre veraltete IT-Infrastruktur nicht nur ohne hohe Investitionen modernisieren und ? wie beim Autokauf ? ihre Altgeräte anrechnen lassen, sie wollen zudem die Betriebsaufwendungen senken, zuständiges Personal ab- und gleichzeitig fehlendes IT-Know-how aufbauen, Risiken des IT-Betriebs abwälzen und wie selbstverständlich die unternehmerische Verantwortung für den Erfolg ausgelagerter Geschäftsprozesse einem IT-Dienstleister aufbürden. Was nach einem typischen Fall von sich ausschließenden Zielen klingt, wird im IT-Service-Markt aber nicht nur zunehmend von Kunden gefordert. Die Branchenriesen unter den IT-Dienstleistern nutzen selbst jede Gelegenheit, das nahezu Unmögliche kräftig zu propagieren. Was nach einem schlechten Deal klingt, ist scheinbar doch für beide Vertragsparteien ein lohnendes Geschäft: »Partnerschaft zum beiderseitigen Nutzen«, nennt Axel Knobe, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen-Tochter Gedas AG, die Form der Zusammenarbeit zwischen Kunde und IT-Dienstleister.

Dabei spielt Knobe auf einen neuen Ansatz an, der seit geraumer Zeit IT-Service-Unternehmen in einer eigenen Kategorie zusammenfasst und sie ? ein wenig schwerfällig ? als Business Innovation/Transformation Partner (BITP) zu fassen versucht. Innovation und Transformation: Was Konzerne nicht aus eigener Kraft bewerkstelligen können oder wollen, versprechen große IT-Service-Provider ? oder eben BITP-Partner ? zu erledigen.

Was aber zeichnet solche IT-Dienstleister aus? Analyst Thomas Lünendonk von der gleichnamigen Unternehmensberatung versteht darunter einen neuen Anbietertypus, der sich in den letzten Jahren als zusätzliche Dienstleistergruppe im Markt herausgebildet hat. Es sind vor allem die bekannten unabhängigen IT-Dienstleister oder Service-Töchter großer IT-Hersteller, die mit ihren IT-Lösungen - tiefer als noch vor Jahren ? in die Wertschöpfungskette ihrer Kunden hineinreichen können. Aus einer Hand bieten diese Unternehmen einen Mix aus Management- und IT-Beratung, Realisierung, Outsourcing und Business Process Outsourcing an. Vor allem aber grenzen sie sich von anderen Dienstleistern dadurch ab, weil sie eine langfristige Partnerschaft meist in Form eines Outsourcing-Vertrags eingehen und eine unternehmerische Mitverantwortung für die Geschäftsprozesse ihrer Kunden mittragen.

Expansion in vertikale Märkte

Solch eine weitreichende Partnerschaft hat beispielsweise Siemens Business Services Ende vergangenen Jahres mit der britischen Rundfunkanstalt BBC geschlossen. Das renommierte Medienhaus suchte einen IT-Dienstleister, der nicht nur den technischen Betrieb mit rund 1.400 Mitarbeitern effizient und kostengünstiger als bisher übernehmen, sondern sich auch in der Lage sehen würde, die Medieninhalte des Hauses in Zukunft so aufzubereiten, dass sie über alle denkbaren Kanäle hinweg vertrieben werden können. Der auf zehn Jahre geschlossene Vertrag spült insgesamt 2,7 Milliarden Euro in die Kasse von SBS und katapultierte die Münchner laut Branchenbeobachter Datamonitor von Platz neun an die Spitze der europäischen IT-Servicehäuser für die Medienbranche ? vor Accenture, IBM und T-Systems. Ähnliche Deals sollen schon bald folgen. »IT-Services im Medienbereich ist weltweit ein Markt mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro«, schätzt Christian Oecking, Leiter Global Outsourcing bei SBS.

Ebenfalls einen Milliarden-Markt sehen Marktforscher im Handel mit Referenzdaten für Finanzdienstleister und Versicherungen. Valide Aussagen für das Risiko-Controlling lassen sich Banken, die ein solches kostspieliges System nicht selbst betreiben können, einiges kosten. Auf diesen Zug ist Anfang vergangenen Jahres IBM aufgesprungen: Big Blue übernahm von der Dresdner Bank die zuvor gemeinsam entwickelte Datenbank für Finanzmarktinformationen einschließlich 24 Mitarbeiter. Im Datenpool werden laufend nicht Kunden bezogene Finanzinformationen unterschiedlicher Herkunft gespeichert, anschließend analysiert und in aufbereiteter Form der Kredit- und Versicherungswirtschaft zur Verfügung gestellt. Im Sinnes eines »Business Transformation Outsourcing« übernahm IBM den kompletten Betrieb der Datenbank und hat die technologischen Weichen gestellt, um die Informationen an Dritte weiter vertreiben zu können.

Ein ebenfalls lohnendes Feld versprechen sich die BITPs vom Government-Sektor. Unzweifelhaft besteht gerade bei deutschen Ministerien, Behörden, Kommunen oder halbstaatlichen Organisationen ein enormer Bedarf, Verwaltungsaufgaben effizienter als bisher zu gestalten. Das allerdings lässt sich mit veralteten IT-Systemen kaum umsetzen. Und Geld für Investitionen können die Kämmerer selbst bei gutem Willen kaum aufbringen. Müssen sie aber auch nicht. Denn die IT-Dienstleister haben nicht nur Konzepte in der Schublade, wie sich IT-gestützte Verwaltungsprozesse modernisieren, standardisieren und effizient betreiben lassen. Sie übernehmen auch große Teile der Vorfinanzierung für solche oft komplexen Projekte. Die so genannten »Public Private Partnership (PPP)«-Konstrukte bieten nämlich auch neue Vergütungsmodelle, welche die öffentliche Hand bei der Modernisierung von IT- und Kommunikationssystemen entlasten. Im Rahmen solcher PPPs wird der IT-Betrieb meist in eine eigene Gesellschaft ausgelagert, die der Dienstleister gemeinsam mit der Behörde führt. Was sich vielfach in den USA und Großbritannien bewährt hat, wird hierzulande aber noch zögerlich aufgenommen. »Bund, Ländern und Gemeinden fehlt die Fähigkeit oder der Wille, bei der Finanzierung von Zukunftstechnologien neue Wege zu gehen«, beklagt Pablo Mentzinis, Experte für E-Government beim Bundesverband Bitkom.

Deutsche Verwaltungen und Behörden zögern also noch, den »effizienten Staat« mit Hilfe privatwirtschaftlicher Initiativen endlich nachdrücklich auf den Weg zu bringen. Und Geld zu sparen: Bis zu 30 Prozent der ursprünglichen Kosten könnten laut Mentzinis durch Public Private Partnership gespart werden. So sieht es zumindest der Branchenverband Bitkom, dessen Mitglieder sich überwiegend aus großen IT- und TK-Konzernen zusammensetzen. Ihnen kann es freilich nicht schnell genug gehen, dass Bund, Länder und Kommunen ihre IT-Infrastruktur modernisieren ? durch mehr oder weniger große Outsourcing-Deals mit IT-Dienstleistern. »Öffentlich-private Partnerschaften sind ein Ausweg aus dem Dilemma«, so die Bitkom-Botschaft.

Die kam zumindest bei einigen Behörden an, die ihre IT-Infrastruktur bereits erneuert und ihre Verwaltungsabläufe restrukturiert haben. So brachte die Stadt Wiesbaden ihre komplette Informations- und Kommunikationstechnologie in ein mit SBS gegründetes Joint Venture ein. Seither betreibt das neu gegründete Unternehmen Wivertis die IT-Infrastruktur für die hessische Landeshauptstadt. Aber nicht nur das: Als Kompetenz-Zentrum steht Wivertis anderen Kommunen mit Rat und Tat zur Seite. Das soll sich für SBS in klingender Münze auszahlen. Andere Dienstleister setzten dagegen auf Partnerschaften mit Spezialanbietern, so wie die deutsche Tochter der britischen Computacenter. Mit dem Call-Center-Spezialisten Sellbytel gründete der IT-Dienstleister das Gemeinschaftsunternehmen Helpbycom. Vom kommenden Jahr an übernimmt die Gesellschaft den Help-Desk-Support für 120.000 Angestellte der Bundesagentur für Arbeit. Der zweite größere E-Government-Auftrag, nachdem bereits das Bundesumweltamt die Dienste des Joint Ventures nützt.

Modernisieren und sparen statt verschwenden

Mit einer Verschuldung von rund 7.100 Euro pro Einwohner ist Schleswig-Holstein das westdeutsche Flächenland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in der Bundesrepublik. Klar, dass der Bund der Steuerzahler in seinem Schwarzbuch genüsslich die Fälle von Steuerverschwendung im nördlichsten Bundesland ausbreitet. Beispiel: Eine Software für die Auszahlung von Sozialhilfe. Die Version sei bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Vertrag nie gelaufen.

Laut Schwarzbuch 2003 seien vor dem Vertragsabschluss mit dem Hersteller weder die EDV-Experten der Stadtverwaltung noch das Rechtsamt hinreichend konsultiert worden. Schaden: 266.000 Euro. Die öffentliche Hand ist also vor IT-Risiken bestens gewarnt, und seit IT-Dienstleister mit ihren Angeboten nicht nur den Betrieb von IT-gestützten Prozessen übernehmen, sondern die Verträge ? oft im Rahmen eines »Public Private Partnership« ? auch die Übernahme unternehmerischer Verantwortung vorsehen, können Behörden aufatmen und zudem Geld für dringend benötigte Modernisierungen sparen.

Ein solches Abkommen hat die Landesregierung Schleswig-Holstein mit T-Systems geschlossen. Die Telekom-Tochter ersetzte die fünf unabhängig voneinander bestehenden Kommunikationsnetze, die seit mehr als sieben Jahren in Betrieb waren, durch eine einheitliche, moderne TK-Infrastruktur und garantiert mit hoher Verfügbarkeit eine reibungslose Kommunikation zwischen den Landesbehörden. Über 300 TK-Anlagen mit 43.000 Endgeräten wurden laut dem auf zehn Jahre geschlossenen Outtasking-Vertrag schrittweise ersetzt. Statt Investitionen in Millionenhöhe zu tätigen, erfolgte anschließend der Rückkauf der landeseigenen TK-Infrastruktur zu festen Konditionen. Vorteile: Modernisierung ohne großen Kapitalaufwand (geringe Kapitalbindung) und fixe Kosten können besser im Haushalt berücksichtigt werden. Eine erste Einschätzung des Landesrechnungshofs dürfte nicht nur die Landesregierung, sondern auch den Bund der Steuerzahler zufrieden stellen. »Verkauf und Rückmiete der landeseigenen TK-Anlagen scheinen sich bei vorsichtiger Einschätzung als ein für das Land finanziell vorteilhaftes Projekt zu entwickeln«, so das Fazit der obersten Rechnungshüter von Schleswig-Holstein.


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