Paradoxes Insolvenzgeschehen

Was die Statistik nicht verrät

21. Mai 2021, 12:08 Uhr | Martin Fryba
© AdobeStock/Crescendo

Im Jahr der schwersten Krise wurden in Westeuropa 2020 so wenige Unternehmensinvolvenzen gezählt wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Wie kann das sein? Eine Modellrechnung offenbart eine andere Diagnose. Es braut sich »Insolvenzpotential« zusammen.

120.000 Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa registriert Creditreform für 2020 und damit einen Rückgang um mehr als ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr, als 163.000 Firmen 2019 aufgeben mussten. Der positive Trend zeigt sich auch für Osteuropa, wo 44.800 Firmen schließen mussten – fast neun Prozent weniger als 2019. Lediglich in der Türkei stiegen die Unternehmensinsolvenzen um über 13 Prozent auf 16.000 Fälle.


Von einem »paradoxen Rückgang«, spricht Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 sind weite Teile der Wirtschaft über einen längeren Zeitraum zum Erliegen gekommen, dennoch sank die Zahl der Pleiten auf ein Niveau, das Statistiker zuletzt vor 30 Jahren festgestellt hatten.


Zwei maßgebliche Gründe haben zu dieser zunächst erfreulichen Entwicklung geführt: Massive Staatsintervention und gesetzliche Änderungen. Fast alle Länder stützen ihre Wirtschaft seit dem letzten Frühjahr durch massive Staatshilfen. Zudem hat die EZB ihre Anleihekaufprogramme, die schon vor der Pandemie  ausgeweitet worden waren, im Krisenjahr 2020 nochmals aufgestockt. Zeitweise wurden außerdem am jeweiligen Insolvenzrecht der Länder Änderungen vorgenommen, wie zum Beilspiel die Pflicht zur Insolvenzmeldung bei Überschuldung ausgesetzt. Kurzarbeit vor allem in Deutschland hat zur Stützung der Wirtschaft beigetragen.

Starker Puffer Eigenkapital
Aber auch der bislang weniger beachtete Umstand, dass die Unternehmen in Westeuropa mit einem »starken Puffer in die Corona-Krise gegangen« sind, sagt Hantzsch. Die Auswertung von Bilanzkennzahlen von mehr als drei Millionen Unternehmen aus dem Vorkrisenjahr habe gezeigt, dass die Gewinnmargen und Eigenkapitalquoten 2019 nochmals zugenommen hätten. »Das hat die Stabilität erhöht«. Folge: Fast die Hälfte der Unternehmen verfügte über hohe Eigenkapitalquoten von über 50 Prozent. Creditreform spricht von einer »deutlichen Verbesserung« gegenüber 2012 – also kurz nach der schweren weltweiten Banken- und Finanzkrise. Fast 22 Prozent der Unternehmen sind indes bis heute finanziell nicht gut aufgestellt, weil sie weniger als zehn Prozent Eigenkapital aufweisen.


 

 

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