Unternehmensnachfolge Teil 3: Bechtle

Fehler sofort und unbarmherzig korrigiert

24. März 2022, 9:10 Uhr | Martin Fryba
„Weder Herr Klenk noch ich sind typische Glamour-Boys. Bechtle ist von seiner Herkunft her ein sehr bodenständiges Unternehmen. Wir sind gut beraten, das nicht zu verleugnen. Damit ist Bechtle die letzten 25 Jahre sehr gut gefahren und das wird die nächsten 25 Jahre weiterhin gelten“. Bechtle-CEO Thomas Olemotz (links) in Anwesenheit seines Vorgängers Ralf Klenk beim ICT-CHANNEL-Interview zur CEO-Übergabe im März 2009
© ICT CHANNEL

Die erste Nachfolge misslang den Bechtle-Gründern. Sie entsorgten einen CEO, der allzu forsch ans Werk gehen und dem Systemhaus seinen eigenen Stempel aufdrücken wollte. Es wurden Lehren gezogen, die Deutschlands größtem Systemhaus ein weiteres Desaster ersparten.

Selten verschlägt es Gerhard Schick, Bechtle-Großaktionär, Vorstandsvorsitzender und Mitbegründer des größten deutschen Systemhauses, die Sprache. Doch was er da zu Jahresanfang 2004 von seinem designierten Nachfolger in der Fachpresse lesen muss, macht ihn sprach- und fassungslos. Er selbst bringt ein Jahr zuvor Karl-Heinz Gosmann als neuen Bechtle-CEO ins Spiel, denn sein Systemhaus PSB gehört seit kurzem zu Bechtle. Es ist die bis dato größte Übernahme des expansivsten aller Systemhäuser im deutschen Markt. Der eigenwillige Schwabe Schick traut dem nicht minder eigenwilligen Gosmann zu, den Systemhausriesen aus Neckarsulm noch größer zu machen, während der 63-jährige Bechtle-Mitbegründer sich in den Aufsichtsrat zurückziehen will und von dort weiter die Strippen zu ziehen gedenkt.

Abrissbirne
Und was macht der Hesse Gosmann? Noch nicht einmal im Amt, bittet er ICT CHANNEL zu Jahresbeginn 2004 zum Pressegespräch und erläutert dem Autor dieser Zeilen, wie er Bechtle anders auszurichten gedenke. „Mehr Fokus auf Highend-IT und eine straffere, zentrale Konzernstruktur“. Wer auch nur einigermaßen über Bechtle Bescheid weiß, ahnt, dass hier einer mit der Abrissbirne droht, die die bis heute so heilige dezentrale Firmenstruktur der Schwaben mit vielen eigenständig für ihre Ergebnisse verantwortlichen GmbH-Geschäftsführern zum Einsturz hätte bringen können. Nichts weniger als die DNA des 1983 gegründeten Systemhauses Bechtle hätte er neue CEO dem Systemhaus extrahiert. Schockstarre bei Schick und seinem Kompagnon Ralf Klenk.

„Mit fast unbarmherziger Konsequenz“
Schick, wieder hell wach, ist nun völlig klar: Gosmann muss weg und zwar schnell. Die Zeit drängt: Es sind nur noch wenige Tage bis zur Einweihung der neuen Firmenzentrale am Bechtle Platz 1 in Neckrarsulm, wo IT- und Polit-Prominenz erwartet wird.  Ende März 2004 wird Gosmann fristlos gefeuert – nach drei Wochen im CEO-Amt. Es ist der fünfte externe Vorstand, von dem sich Bechtle wieder trennt, schneller als je zuvor von einem anderen Manager.

Später wird noch herauskommen, dass der vom Hof gejagte Bechtle-CEO sein Systemhaus PSB schön gerechnet und Lagerwerte viel zu hoch angesetzt hatte. Die Bilanz der letzten drei Jahre der seit März 2000 an der Börse notierten Bechtle AG musste korrigiert werden. Man wird sich später noch vor Gericht wiedersehen, denn wenn es ums Geld geht, kennt der sparsame Gerhard Schick keinerlei Pardon.

Mitbegründer Ralf Klenk muss doch ran
Wer indes soll Bechtle nach dem Desaster mit dem Kurzzeit-CEO leiten? Mitbegründer Ralf Klenk (ICT-CHANNEL-Porträt: Der Marathon-Mann) ahnt es, dass er, der eigentliche Wunschkandidat, den Job nun doch annehmen muss. Eigentlich ist er dazu kaum in der Lage. Denn zwei Jahre zuvor verliert er seinen elfjährigen Sohn Markus, der einem Krebsleiden erliegt. Tochter und Frau brauchen ihn in dieser schweren Zeit, die plötzlich ohne Führung dastehende Firma aber auch. „Um Schaden für Bechtle zu vermeiden“, entscheidet sich Klenk fürs Weitermachen als neuer Bechtle-Chef.

Es wird die erste und einzige verpatzte Nachfolgeregelung bei Bechtle. Die Lehre aus der Causa Gosmann wird der künftige Maßstab. Die offizielle Firmenchronik dazu: „Fehler werden sofort, mit fast unbarmherziger Konsequenz und ohne Rücksicht auf die äußere Wirkung korrigiert“.

Thomas Olemotz setzt Lebenswerk der Gründer fort
Mit Nummer sechs eines zum Vorstand berufenen externen Managers tritt der Bechtle-Aufsichtsrat dieses Mal eine ausgezeichnete Wahl. Thomas Olemotz, 2007 als Finanzvorstand zum schwäbischen Systemhaus gewechselt, wird von CEO Klenk gründlich eingearbeitet und zwei Jahre auf seine Rolle als sein Nachfolger vorbereitet. Schnell begreift der Betriebswirt, wie Bechtle, respektive die Gründer, ticken: Bodenständigkeit, Sparsamkeit, keine Allüren, sondern die schwäbisch-solide IT-Dienstleistung waren gefragt. Die mitunter sehr eigenwilligen Vorstellungen mittelständischer Unternehmer kennt Olemotz aus vielen Verhandlungen als M&A-Berater bei Delton AG, einer der Firmen von BMW-Erbe Stefan Quandt. Olemotz weiß, wie schwer Ablöseprozesse sein können, wenn Inhaber die Hand nicht mehr am Ruder haben, aber die Richtung „ihrer“ Firma immer noch lenken wollen.

 

CEO-Nachfolge bei Bechtle im zweiten Anlauf

Fünf externe Vorstände holten die Bechtle-Gründer Gerhard Schick und Ralf Klenk seit der Gründung 1983 an Bord des Systemhauses, die allesamt Bechtle wieder verlassen. Vom designierten CEO Karl-Heinz Gosmann, Nummer fünf der externen Manager, trennt sich Bechtle schneller als je zuvor von einem anderen Top-Manager. Keine vier Wochen hielt sich Gosmann im März 2004 als CEO bei Bechtle. Er beging den Fehler, Bechtle durchaus radikal umbauen zu wollen und kommunizierte das auch in einem Interview mit ICT CHANNEL, das er uns noch vor der offiziellen Amtsübergabe gab.

Einstweilen musste Bechtle-Mitbegründer Ralf Klenk 2004 den CEO-Posten besetzen. 2007 holte er Nummer  sechs, seinen Nachfolger, an Bord: Thomas Olemotz, zunächst Vorstand Finanzen bei Bechtle, wurde  gründlich eingearbeitet und zwei Jahre auf seine Rolle als CEO von Gründer Ralf Klenk vorbereitet. Thomas Olemotz hat den Systemhausriesen strategisch behutsam ausgebaut und vor allem auch firmenkulturell verändert, was man, im Rückblick betrachtet, gewaltig nennen kann. An der grundlegenden Strategie und Haltung der Gründer hat er indes nie gerüttelt: Keine Experimente im Systemhausgeschäft, etwa eine Expansion ins nicht deutschsprachige Ausland, kein Wandel zum Hersteller, kein Abbau des IT-Handels - im Gegenteil, und auch keine Erweiterung des Handels in das Privatkundensegment.

 

Bechtle-DNA: kein Glamour, solide-schwäbisch bleiben
Während Bechtles US-Herstellerpartner von Lichtgestalten wie den lauten Steve Ballmer (Microsoft), den genialen wie besessenen Steve Jobs (Apple) oder den zur See und auf Bühnen streitbaren Larry Ellison (Oracle) geführt werden, ist dem neue Bechtle-Chef völlig klar, was von ihm erwartet wird: Ein solide-schwäbisches Systemhaus ohne Glamour und im Geiste der Gründer weiterzuführen. Mit Verwalten darf man das freilich nicht verwechseln.

Vielmehr wird Olemotz das Lebenswerk zweier Systemhauspioniere erfolgreich fortschreiben, indem er Bechtle vorsichtig und behutsam verändert, ohne dabei die DNA eines IT-Konzerns mit nunmehr über 12.000 Mitarbeitern und über sechs Milliarden Euro Umsatz gewaltsam über Bord zu werfen. Dieses Jahr feiert Olemotz sein 15-jähriges Bechtle-Jubiläum. Sollte er 2028 immer noch das Ruder führen, und vieles spricht dafür, geht er in Fortschreibung der Akquisitionsstrategie als „Eisener Kanzler“ in die deutsche Systemhausgeschichte ein. Er wird dann mit Gründer Gerhard Schick als bislang längster Bechtle-CEO gleichziehen.

Aus dem Schatten treten
Wann ein Manager endgültig aus dem Schatten der Gründergeneration tritt, ist schwer zu sagen. Man kann den Zeitpunkt manchmal im Zahlenwerk der Bilanzen erkennen. Manchmal sind es von außen betrachtet sehr marginale, aber dennoch unverkennbare Zeichen einer neuen Zeit. So wie bei Bechtle: Die plötzlich fehlende Krawatte der Vorstände bei einem öffentlichen Auftritt, die fortan auch immer weniger Männer im Büro tragen werden - bis die Krawattenpflicht schließ0lich ganz fällt.

Oder ein Mittagessen in der Firmenzentrale am Bechtle Platz 1 in Neckarsulm, wenn man sich dort wie in einem Gourmettempel wähnt. Ex-Bechtle-Vorstand Jürgen Renz (1998 bis 2002), heute Vice President bei Dell, kennt noch die Erbsensuppe, die CEO Gerhard Schick bei Vorstandssitzungen auftischen ließ. „Wenn wenigstens ein Würstchen drin gewesen wäre“, sagt er im Rückblick.

In der ICT-CHANNEL-Serie Unternehmensnachfolge sind bislang folgende Beiträge erschienen:
Zukunft braucht Herkunft - Wenn IT-Pioniere loslassen
Gerd gibt an Sohn Tim ab - ein bisschen - Tim AG
Blut ist nicht dicker als Wasser - Michael Telecom
Nur keinen "Konzernfuzzi" - Bytec

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