Fraunhofer-Untersuchung

Rein digital wird es schwierig

18. August 2022, 14:42 Uhr | Folker Lück
© shintartanya | AdobeStock

Welche langfristigen Folgen ergeben sich nach der Pandemie für die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Was ändert sich in hybriden Arbeitswelten? Über zwei Jahre hinweg haben deutsche Wissenschaftler fast 200 Unternehmen zu den Pandemiefolgen für die Arbeitswelt befragt.

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) haben gemeinsam die Auswirkungen der Pandemiesituation auf die Arbeitswelt untersucht. Einer der zentralen Punkte der aktuellen Studie: Es steht außer Frage, dass die Corona-Pandemie unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert hat. Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und -orte sowie virtuelle Meetings statt Dienstreisen sind für viele Unternehmen und ihre Mitarbeitenden „normal“ geworden. Und wer den Anforderungen der hybriden Arbeitswelt nicht gerecht wird, verliert als Arbeitgeber an Attraktivität. 

Unter anderem wurden mögliche langfristige Effekte ausgewertet. Die Studienergebnisse sollen dazu beitragen, Strategien für Arbeitgeber oder Berater zu entwickeln, diese „neue“ hybride Arbeitswelt erfolgreich zu gestalten. Eine der zentralen Fragestellungen lautete: Wie gelingt es trotz Homeoffice, flexiblen Arbeitsmöglichkeiten und einer Belegschaft, die im Extremfall sogar über verschiedene Staaten verstreut ist, Mitarbeitende zu binden und zu einer Betriebsgemeinschaft zu formen, die mehr ist als die Summe aller Einzelpersonen?

Neue Kräfte integrieren
Licht und Schatten liegen nahe beieinander: mehr als 30 Prozent der Befragten gaben an, in der Pandemie mehr Menschen rekrutiert zu haben, zugleich sagten 40 Prozent, es sei schwerer geworden, neue Mitarbeitende zu integrieren. „Erforderlich werden explizite Aktivitäten, um das Unternehmen als sozialen Ort der Begegnung, der Identifikationsstiftung und der Kooperation zu stärken und aktiv zu beleben“, stellen die Wissenschaftler fest. Wer viel im Homeoffice oder von unterwegs arbeitet, braucht umso nötiger die Abstimmung und den Austausch mit Kollegen – formell in Meetings und informell an der Büro-Kaffeemaschine. Virtuelle Zusammentreffen ersetzen den persönlichen Austausch nicht.

Es zeigte sich auch, dass eine Intensivierung der Arbeit stattfindet, die tendenziell gesundheitsschädlich wirken kann: Pausen werden weniger systematisch gemacht, die Taktung der Meetings wird dichter. Dies kann zu einer mangelnden Work-Life-Balance und letztlich zu psychosozialen Krankheiten wie einem Burnout führen. Hier spielt die Familiensituation der Mitarbeitenden eine wichtige Rolle, ebenso etwaige Betreuungspflichten.

Unternehmen ist sozialer Ort
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Unternehmen mehr sind als reine Orte der Arbeitserbringung. Studienautorin Josephine Hofmann: „Der Arbeitsplatz schafft als sozialer Ort Zugehörigkeit, macht im besten Falle auch Stolz darauf, dazuzugehören. Er ist ein Möglichkeitsraum für geplante wie ungeplante Begegnungen, für Austausch und gemeinsame Innovation und er muss hierfür explizit gestaltet werden.“

Führungsarbeit gewinnt an Bedeutung, da sie maßgeblich den Bindungsgrad zwischen Arbeitnehmern und dem Unternehmen beeinflusst. „Hier zeigt sich die ganz wesentliche Schnittstellen- und Integrationsfunktion von Führungskräften im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden. Die gute Umsetzung dieser Aufgaben aber ist in hybriden Arbeitsumfeldern nicht einfacher geworden“, sagt Hofmann. Unternehmen, Führungskräfte und die Mitarbeitende seien gefragt, den richtigen Weg zu finden. Es gebe keine Blaupause. Eine produktive, sozial befriedigende und innovationsförderliche Arbeitsumgebung erfordere sorgfältige Gestaltung und eine intensive Beteiligung. Dies werde umso wesentlicher, als sich der Arbeitsmarkt aufgrund der Hybridisierung nochmals verstärkt internationalisiert hat und sowohl mehr Potenziale, aber auch mehr Konkurrenten mit sich bringt.

Erschwerter Austausch
Aufschlussreich sind die Ergebnisse auch in Bezug auf die Effekte des hybriden Arbeitens hinsichtlich Wissensaustausch und Vernetzung zwischen Mitarbeitenden. Beides ist elementar für Prozess- und Produktinnovationen.

46 Prozent der Befragten gaben an, dass der Wissensaustausch im Unternehmen schlechter geworden sei; beunruhigende 62 Prozent bestätigten eine verminderte Vernetzung mit den Kollegen. Effekte aus dieser negativen Entwicklung dürften aber noch nicht überall wirksam sein und werden zeitverzögert zu Tage treten, da viele Unternehmen noch von den Erfolgen und Arbeitsbeziehungen aus der vorpandemischen Zeit zehren können. Technologie allein wird diese Probleme aber nicht lösen.

Immer wichtiger werden Überlegungen, wie man diese früher oft „nebenher“ erzielten Effekte in der hybriden Arbeitswelt gezielt unterstützen kann. Wichtiger werden die räumlichen Umgebungen für Arbeit und Begegnung. Es sollten daher laut der Studie wirksame Anreize für ein konstruktives Miteinander geschaffen werden. 

Das Fazit der Wissenschaftler:  Eine sozial befriedigende, produktive und auch innovationsorientierte hybride Arbeitsrealisierung ist machbar, doch sie erfordert das Zusammenwirken erfolgskritischer Faktoren. Dazu gehöre, die neue Normalität anzuerkennen und nicht zu viel Zeit darin zu investieren, das Rad zurückzudrehen. Die pandemisch bedingte Ausnahmesituation war zu lange wirksam, die Erfolge in Bezug auf Produktivität und Machbarkeit waren groß. Die Erwartungen der Mitarbeitenden auf Flexibilität sind eindeutig. Es geht für Unternehmen nicht bloß darum, sich einem Erwartungsdruck zu beugen, sondern sie können auch neue Flexibilisierungspotenziale nutzen und über Ländergrenzen hinweg neue Arbeitskräfte akquirieren.

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