Chef entlässt alle Mitarbeiter

Zurück zur One Man Show

20. Juni 2022, 9:44 Uhr | Martin Fryba
Alles werde schöngeredet: "Das ist die Doktrin, die heutzutage zu herrschen hat. Ist man mit den Unternehmern dann mal alleine unter vier Augen, sieht das ganz anders aus", sagt Dietmar Wilhelm von WilliSoft
© AdobeStock/Lightfield Studios

100 Wochenstunden Vollgas geben, Aufträge heranschaffen für Mitarbeiter, deren Ansprüche an die Firma hoch, ihre eigenen aber eher bescheiden sind: Systemhaus-Inhaber Dietmar Wilhelm muss ihnen nicht mehr auf die Schultern klopfen. Sein Kommentar zum aktuelle ICT CHANNEL-Editorial.

Danke für das so wahre Editorial in Ausgabe 12 von ICT CHANNEL. Als ich meine Firma 1982 gegründet habe, konnte ich die Entwicklung der Branche natürlich nicht ahnen. Das ist auch gut so gewesen und ist es noch. Ganz am Anfang arbeitete ich nur mit Freelancern. irgendwann habe ich Leute fest eingestellt und auch angefangen auszubilden. Meine Firma wuchs und wuchs, ist finanziell mehr als pudelgesund und wir habe einen extrem hervorragenden Ruf bei meinen Kunden. Werbung mache ich seit Jahrzehnten nicht mehr, alleine durch Empfehlungen kommen mehr Neukunden als mir manchmal lieb ist.

Nun habe ich zum 31. Dezember 2021 ALLE meine Mitarbeiter entlassen und arbeite wieder so wie am Anfang: Sie nennen es im Editorial „one-man-show". Die Gründe dafür finden Sie in dem von Ihnen verfassten Editorial. Und was soll ich sagen: der Umsatz ist natürlich erheblich zurückgegangen, der Gewinn aber ist gestiegen!!!

Was schließe ich daraus: Meine ehemaligen Mitarbeiter waren in Summe nicht mal in der Lage, ihre eigenen Kosten (Gehalt, Sozialleistungen, Firmenfahrzeug, Handy, Rechner, Büro- und Gebäudekosten) zu erwirtschaften. Jahrzehntelang habe ich mehr als Vollgas gegeben, um die Firma anzutreiben. Ohne meine Leute habe ich heute mehr Geld im Säckel als mit. Und mein persönlicher Stress, mich mit den Mitarbeitern beschäftigen zu müssen, ist um 100 Prozent gesunken. Denn den gibt es gar nicht mehr.

Heute, sechs Monate danach, suche ich mir meine Aufträge selbst aus. Ich MUSS keine Arbeiten annehmen, nur um Arbeit für die Mitarbeiter zu haben. Aus rund 100 Wochenstunden für mich (Montag bis Samstag von 7 bis 22-23 Uhr und Sonntag im Büro) sind rund 30 Stunden übrig geblieben. Raten Sie mal, wie sehr das meine Frau freut. Und mich natürlich auch.

Das geht nicht nur mir so: viele meiner Handwerker- und Dienstleisterkunden haben die gleichen Erfahrungen und ziehen die gleichen Konsequenzen. Mein Patenkind ist Steuerberaterin und hatte vier angestellte „Steuerfachgehilfen“. Wegen der von Ihnen so schön beschriebenen „knapp durchschnittlichen Qualifikation“ hat sie die meiste Zeit (auch rund 60 bis 80 Wochenstunden) damit verbracht, die Fehler ihrer Leute auszubügeln. Sie hat, wie ich, auch alle Mitarbeiter entlassen - und zwar schon 2020. Auch sie hat erheblich weniger Umsatz, aber mehr Gewinn.

Ich weiß nicht, wohin das gehen soll, aber für mich ist dieser „Ausstieg“ ein Riesengewinn. Es ist mir auch egal, was mit diesen Leutchen zukünftig passiert. Ein Schreinereikunde von mir hat es so formuliert: die meinen, wenn sie alleine aufs Klo gehen können, wäre das schon eine Urkunde wert. Soll nicht mehr mein Problem sein.

Hinter der Lobhudelei-Fassade
Ich erlebe jeden Tag, wenn Mitarbeiter und/oder Kunden zuhören, dass alles schöngeredet wird: „meine Mitarbeiter sind die besten“, „super engagiert“ und all diese Lobhudelei. BLOß KEIN NEGATIVES WORT OFFEN AUSSPRECHEN. Das ist die Doktrin, die heutzutage zu herrschen hat. Ist man mit den Unternehmern dann mal alleine unter vier Augen, sieht das ganz anders aus. Ich kann Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrung versichern, dass die große Mehrheit derjenigen meiner Bekannten und Kunden, die eine Firma selbst aufgebaut und jahrzehntelang geackert hat, genau so denkt wie in Ihrem Editorial geschrieben.  

Dietmar Wilhelm, WilliSoft GmbH & Co. KG

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